#cityMW: Das Museum als Ruhepol in der Großstadt

Für #cityMW begleiten wir heute im Rahmen der musealmedialen Literatur-Museen-Reise zwei jugendliche Protagonisten durch New York.

Bei seinen Streifzügen durch New York besucht Holden Caulfield nachdem es ihm nicht gelingt, seine Schwester Phoebe im Central Park abzupassen, das Museum of Natural History. Auf dem Weg zum Museum erinnert sich Holden daran, wie er als jüngerer Schüler fast jeden Samstag mit der Schule in diesem Museum war. Er erinnert sich an Dioramen, an Gerüche, an eine riesige Menge an Glasvitrinen. Und er befindet, dass er die Museumsbesuche immer mochte –

The best thing, though, in that museum was that everything always stayed right where it was.

J. D. Salinger, The Catcher in the Rye, S.127

 

Diese Beständigkeit findet Holden den ganzen Weg durch den Park ansprechend, er zeigt sogar so etwas wie Enthusiasmus für das Museum und dessen aus der Zeit gefallenen Charakter. Als er jedoch bei dem Gebäude ankommt, verspürt er keinerlei Interesse mehr, diesen Ort seiner Kindheitserinnerung zu besuchen. Das einzige, was er vor dem Museum tut, ist schlussendlich ein Taxi zu rufen, welches ihn wieder von diesem Ort fort bringt.

Im weiteren Verlauf der Geschichte ist ‘vor dem Museum’ auch der Treffpunkt, den Holden wählt um sich von seiner Schwester zu verabschieden. Es stellt so für Holden einen markierten Ort, einen Ruhepol dar, in seinem sich sonst auflösenden Leben, seiner Ziellosigkeit, seiner eigentlichen Zielverweigerung, die allenfalls von fixen Ideen durchbrochen wird.

 

Als Zufluchtsort dient ein anderes New Yorker Museum, das Metropolitan Museum, der Mutter des Protagonisten Theo Decker aus Donna Tartts ‘The Goldfinch’ (dt. ‘Der Distelfink’). Aber auch Theo selbst ist von diesem Ort fasziniert, gerade auch als Gegensatz zum sonstigen städtischen Raum:

 

For me – a city kid, always confined by apartment walls – the museum was interesting mainly because of its immense size, a palace where the rooms went on and on forever and grew more and more deserted the farther in you went.

Donna Tartt, The Goldfinch, S. 22

Theos Leben nimmt im Met. Museum seinen Wendepunkt – in der Explosion, ausgelöst durch einen Bombenanschlag, während er sich mit seiner Mutter dort aufhält – sie stirbt dabei – natürlich eklatant. Aber auch schon vor der Explosion, als Theo ein rothaariges Mädchen bei ihrem Weg durch die Ausstellungsräume beobachtet, und so seine Obsession mit ihr, Pippa, das erste Mal aufkeimt.
Im zerstörten Met trifft er auf Welty, Pippas Onkel, und dort, das ist das Wichtigste, weil Theo es dazu macht, gelangt er in den Besitz des titelgebenden Gemäldes, des Distelfinks, der fortan seine Gedanken für viele Jahre besetzen wird.

Carel Fabritius, het puttertje (1654) via Wikimedia Commons

 

Theo ist, wie der Fink an seine Stange gewissermaßen an das Gemälde gekettet. Als sich herausstellt, dass es lange Jahre nicht wirklich in seinem Besitz war, ihm von seinem Freund Boris entwendet wurde, so dass er jahrelang nur glaubte, das Gemälde eingelagert zu haben, scheint sein mühsam zusammengeklöppeltes Leben zwischen Job im Antiquitätenhandel und direkt bevorstehender Verlobungsfeier zu zerfallen, genauso wie dies bereits bei seiner Umsiedlung nach Las Vegas geschehen war – Auftritt wiederum Boris, der neben dem Gemälde damals ein Anker für Theo war. Aber auch an New York ist Theo gekettet, dorthin flüchtet er sich wieder zurück, nachdem der Vater in Vegas selbstverschuldet zu Tode kommt. Dort findet er immer wieder etwas wie eine Familie, seien es die Babours, die ihn nach dem Tod der Mutter aufnehmen, oder sei es Hobie, der ihn nach der Vegas-Episode aufnimmt. New York wird dadurch im Ganzen für Theo das, was das Metropolitan Museum für seine Mutter innerhalb dieser Großstadt war, was das Museum of Natural History für Holden Caulfield ebenso darstellt: ein Sanktuarium, ein Ruhepol, ein Ort, der von einem äußeren, architektonischem bzw. institutionellen Raum zu einem inneren Heiligtum wird.

 

Links:
Donna Tartt, The Goldfinch, erschienen bei Little, Brown & Company | Der Distelfink, erschienen bei Goldmann
J.D. Salinger, The Catcher in the Rye, erschienen bei Penguin | Der Fänger im Roggen, erschienen bei Rowohlt

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