#womenMW: Maja oder der Ursprung der Welt – Bücher und Frauenakte.

Heute, am Welttag des Buches, startet auch die #MuseumWeek. Genug Anlass, beide – Museen und Bücher –  zu feiern! Auf musealmedial erscheint daher diese Woche eine Artikelreihe zu Museen in Büchern. Weitere Lektüreempfehlungen sind herzlich willkommen!

 

Wir beginnen mit dem Thema #womenMW – und dem bekannten Ausspruch der Guerilla Girls, der anonym unter den Namen verstorbener Künstlerinnen agierenden New Yorker Künstlerinnenkollektiv:

Do women have to be naked to get into the Met. Museum?

fragten die Frauen mit den Gorillamasken Mitte der 80er Jahre in einer Posteraktion.

Und auch an die Literatur könnte man diese Frage stellen – bekannte weibliche Akte werden dort gerne zum Aufhänger für die ganze Geschichte; Geschichten, die wohlgemerkt von männlichen Autoren verfasst wurden, und deren Protagonisten wiederum männlich sind. Die gemalten Frauen werden so alleine durch diese Personenkonstellation zum  Objekt – bäugt durch einen männlichen Betrachter.

Unsere Reise in Museen mittels der Literatur führt uns zunächst nach Paris, ins Musée d’Orsay. Dort befinden sich auch Patito und seine Frau Silvia. Sie stehen vor Courbets skandalträchtigem ‘L’origin du monde’ – die weit gespreizten Beine einer nackten Frau lenken den Blick geradezu auf das Geschlecht der Gesichtslosen. Patito ergeht sich als dann auch in Spekulationen darüber, die Dargestellte sehe seiner Frau ähnlich. Er wird an diese Gedankengänge alsbald erinnert, als sein Freund Felipe Selbstmord begeht – und in dessen Nachlass Nacktfotos von dessen Sexualpartnerinnen auftauchen, darunter eines, dass an Courbets Akt erinnert – und von dem Patricio außerdem glaubt, dass es seine Frau zeigt, was wiederum bedeuten würde, dass Felipe und Silvia ihn hintergangen, betrogen hätten.

Roman von Jorge Edwards, zusätzlich auch noch benannt nach Courbets Gemälde, ‘Der Ursprung der Welt’, zieht die eifersüchtigen Gedanken des alternden Patricio nach und entbehrt dabei nicht einer gewissen Ironie. Durch das Gemälde und die darauf bezogene Fotografie entsteht eine Art Vexierbild, eine Vermischung von Wahrheit und Fiktion, die wiederum auf die Realität zurückwirkt.*

Ein ähnliches Motiv, nur noch verschwurbelter, findet sich auf der nächsten Station unserer literarischen Reise – Bevor es aber in den Prado in Madrid geht, lernen wir in Jostein Gaarders ‘Maya oder das Wunder des Lebens’ den Protagonisten Frank kennen, als er auf den Fidschiinseln Urlaub macht. Dort trifft er auf Ana, welche ihm bekannt vorkommt, er kann sich jedoch nicht entsinnen, wo er sie schon gesehen haben könnte – bis er sie eines Tages nackt beim Baden beobachtet. Dabei fällt ihm auf, dass nur ihr Gesicht ihm bekannt vorkommt, nicht aber ihr Körper. Aufgeregt reist er nach Madrid und besucht den Prado, und dort, vor Goyas ‘Maja Desnuda’ erkennt er Anas Gesicht wieder – es scheint nachträglich aufgemalt zu sein, dem Körper der eigentlich Abgebildeten hinzugefügt, um deren wahre Identität zu verbergen. Aber wie kann das sein? Wie kann das Portrait einer Frau aus dem ausgehenden 20. Jahrhundert auf einem Gemälde entstanden im späten 18. Jahrhundert auftauchen? Die Erklärung beinhaltet einen Zwerg, Joker, der, wie wir aus einem anderen Werk Gaarders, dem Kartengeheimnis, wissen, aus einem Kartenspiel zum Leben erweckt wurde, und der, so scheint es, durch die Zeit reisen kann – dieser Joker macht eine Fotografie von Ana und bringt dieses Abbild in die Vergangenheit, wo Goya es sieht und auf seine Majas (die nackte und die bekleidete) überträgt. Oder ist es doch anders? Zum Ende des Romans, der als Brief von Frank an seine Exfrau verfasst ist, stellt sich heraus, dass die ganze Geschichte von einem Schriftsteller, welcher ebenfalls auf den Fidschis im Urlaub war, erdacht wurde, inspiriert durch die Ähnlichkeit von Ana mit dem Gemälde, und dass alles dazu diente, einige Thesen zum Zusammenklang von Evolution und religös-philosophischem Wunderglauben erörtern – kurz, man beachte den Zusatz zum Titel: Das Wunder des Lebens.

Titel, ebenso wie der ‘Der Ursprung der Welt’ haben noch eine weitere Gemeinsamkeit: Sie beide gehen von einer gewissermaßen Ursprünglichkeit des Weiblichen aus, welche auch mit Bezug auf Gemälde, die nackte Frauen zeigen, innerhalb der beiden literarischen Werke konstruiert wird.** Die Gemälde, die hierbei referenziert werden sind beide in ihrer Zeit (und teils bis heute, etwa als 2011  Courbets Gemälde auf Facebook zensiert wurde, was dazu führte, dass viele Nutzerinnen und Nutzer es als Profilbild in diesem sozialen Netzwerk verwendeten) skandalös. Sind beide von Männern geschaffen worden, die wiederum als Gründungsfiguren des Realismus’ gelten. Sind beide in zwei der gewichtigsten Kunstmuseen der Welt zu betrachten.

Die Frauen, so scheint es, kommen nackt in die Kunst, so ins Museum und von dort aus in die Literatur. Wo sie, qua ihrer Abbildungen, ihrer Nacktheit munter weiter objektifiziert und funktionalisiert werden, von den männlichen Autoren, den männlichen Protagonisten. Ein ernüchterndes Fazit, aber – vielleicht realistisch?

Als Abschluss des Artikels soll, auch um dem Thema des 1. Tages der MuseumWeek etwas grundständiger gerecht zu werden, noch ein Werk einer Autorin mit einer weiblichen Protagonistin angeführt werden: Siri Hustvedt beschreibt in ihrem Roman ‘The Blazing World’ (dt. Die gleißende Welt) genau die angeprangerten Missstände der Kunstwelt, durch die Augen der fiktiven Künstlerin Harriet Burden, in fiktiven Dokumenten und fiktiven Aufsätzen der fiktiven Wissenschaftlerin I.V. Hess. So viel Fiktion mag kompliziert und überfrachtet klingen, aber durch den Roman eröffnet sich ein vielschichtiges Bild einer New Yorker Künstlerin, die sich hinter männlichen Künstlern verbarg, ihre Kunst unter deren Namen veröffentlichte, um dadurch überhaupt Aufmerksamkeit für ihre, Burdens, Werke zu erhalten. Es scheint also, dass  es eine Möglichkeit für Frauen gibt, neben der anfangs zitierten ‘Option’ als entblößtes Objekt ins (Kunst-)Museum zu kommen – Sie können sich als Mann ausgeben! Oder, wie Harriet Burden es formuliert:

All intellectual and artistic endeavours […] fare better in the mind of the crowd when the crowd knows that somewhere behind the great work […] it can locate a penis and a pair of balls.

Siri Hustvedt, The Blazing World, S. 567

 

 

Links:
Jorge Edwards, Der Ursprung der Welt, erschienen bei Wagenbach
Jostein Gaarder, Maya oder das Wunder des Lebens, erschienen bei dtv
Siri Hustvedt, Die gleißende Welt, erschienen bei Rowohlt | The Blazing World, erschienen bei Simon & Schuster

 

 

Die Vielschichtigkeit und das Verwirrspiel um die Abbilder wird auch grandios in der Gestaltung des Buches umgesetzt: Auf den Einband ist Courbets Gemälde gedruckt, verhüllt wird es durch den teiltransparenten Schutzumschlag. Tatsächlich war diese Gestaltung damals für mich der Hauptgrund, das Buch zu erwerben. Im selben Jahr hatte ich zudem bereits zweimal vor ‘L’Origin du Monde’ im Musée d’Orsay gestanden und mir viele Gedanken dazu gemacht – eine literarische Verhandlung dieses Gemäldes erweckte also mein Interesse sehr.

 

Ein weiterer Gedanke hierzu: der Titel ‘L’Origin du Monde’ könnte sich auch auf Darwins ‘ Über die Abstammung der Arten’, englisch ‘On the Origin of Species’ beziehen, welches wenige Jahre vor Entstehung des Gemäldes erschien. Das Buch erregte großes Aufsehen mit seinen Thesen zur Evolutionsbiologie und der damit verbundenen Frage zur Herkunft des Menschen. Courbets Gemälde, welches den weiblichen Schambereich sowie den Unterleib und die Brüste zeigt, könnte auch als Kommentar zu dieser Frage betrachtet werden.

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