#LetsTalkAboutSexes: Wann ist eine Frau kein Nicht-Mann?

Anfang Januar 2017:
Eine große Gruppe an Menschen, eine Kneipe, mehrere Tische, die Sitzkonstellationen ändern sich fortwährend.
Ein künstliches Licht, Teil der Tischdekoration – etwa 10 cm groß, der obere Teil aus milchigem Plastik und rötlich leuchtend, davon durch eine Kante leicht abgesetzt der untere Teil, aus opakem weißen Plastik und etwas verdickt – ist Gegenstand des Gesprächs an einem Tisch, als ich mich dazu geselle. Man stellt mir die Frage, an was mich dieses Objekt erinnere? Ich sage: ein Lippenstift.

Die Gegenüber grinsen, und, allesamt männlich sozialisiert, befinden, das dies vielleicht eine ‘weibliche Einordnung sei’. Stereotype: Die Frau und der Lippenstift, die Frau denkt an Kosmetik.
Die Gruppe möchte, so zeigt sich, eigentlich darauf hinaus, dass die Form auf einen Penis, oder ein Penissubstitut, namentlich einen Dildo, hindeute. Aufgrund meiner kritischen Kommentare bezüglich Stereotypisierung und Phallozentrismus wird eingelenkt, es könne sich auch um die Symbolik einer Klitoris handeln. Woraufhin die tatsächliche Form und vor allem Anatomie der Klitoris, ihre Schenkel, ihre generelle Ausbreitung im Intimbereich das Gesprächsthema werden, denn anscheinend wurde für den Symbolvergleich nur ein Teil, der  außenliegende, hervorstehende Glans clitoridis als Klitoris definiert, und entsprechend vom Penis aus gedacht, diesem gleich gesetzt.
Dieses Vorgehen, sowie die Theorien, welche in diesen Gesprächen über das weibliche Geschlecht™ aufgestellt wurden, sind für mich vor allem in folgender Hinsicht interessant: Wie stark doch, um dem Vorwurf des Phallozentrismus zu entkommen, weiterhin alles vom Penis ausgehend definiert wurde! Wie stark dieser als Norm, als ‘das Normale’ gesetzt wurde, gegenüber dem das weibliche Geschlecht, oder eben auch der zuerst als stereotyp weiblich begriffene Lippenstift letztendlich wieder in Bezug auf Männlichkeit, als Darstellung des männlichen Geschlechts™ bestimmt wurde. Und so stellt sich für mich im Nachdenken über Geschlecht viel weniger die Frage, wann ein Mann ein Mann ist, sondern eben, der Titel verrät es, wann eine Frau kein Nicht-Mann ist. Wann – und daran angeschlossen: wie – sie und ihre Geschlechtsorgane beschrieben oder auch abgebildet werden können ohne den Abgleich mit dem Mann bzw. seinen Geschlechtsorganen. Vielleicht ist es an der Zeit weiterzudenken, umzudeuten.

Sie.

Als Titelmotiv für den Katalog zur Ausstellung ‘Geschlechterkampf’, ebenso als Headergrafik des sehr empfehlenswerten Digitorials zur Ausstellung wurde Gustav Adolf Mossas Gemälde mit dem Titel ‘Sie’ gewählt. Und scrollt man im erwähnten Digitorial nach unten, so entweichen Titel und Daten der Ausstellung ebenso wie der Kopf der nackt Abgebildeten, was bleibt, sind ihre Brüste, die einem geradezu entgegenspringen. Zweifelsohne ziehen diese den Blick der Betrachtenden stark an, nicht nur in der ausschnitthaften Abbildung des Digitorials, auch in der Gesamtansicht des Gemäldes. Durch die leicht vorgebeugte Haltung sowie die abstützenden Arme, so ließe sich argumentieren, werden die Brüste auch nochmals gesondert nach vorne gedrückt, sozusagen in den Fokus gerückt. Die Dargestellte thront, wendet man den Blick von den Brüsten aus weiter nach unten, auf einem Berg (ausschließlich männlicher?) Leichen, um ein vielfaches kleiner als ‘Sie’.

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Gustav Adolf Mossa (1883–1971) | Sie, 1905 | Öl auf Leinwand, 80 x 63 cm
Musée des Beaux-Arts, Nizza | © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 |Foto: Laurent Thareau

Nun lassen sich diese exponiert dargebotenen Brüste sowie der Leichenberg nicht gerade als erstens realistisch und zweitens differenzierte Darstellung von Weiblichkeit begreifen – obwohl der Titel, ‘Sie’, schon stark eine Allgemeingültigkeit in Anspruch zu nehmen scheint. Mossa, so könnte man verkürzt sagen, verwendet die Nacktheit der Frau als Eyecatcher, um sie dann als männermordendes, monströses Wesen darzustellen. Eher misogynistischer Stereotyp einer Femme fatale, tödliche Weiblichkeit, denn eine innovative Darstellung des Weiblichen, der weiblichen Geschlechtlichkeit, die sich vom Mann, von seinem Blick und seinen Definitionen abgrenzt, könnte man meinen.

Ein Detail des Gemäldes jedoch gefällt mir: der Blick in den Schritt der Dargestellten offenbart an der Stelle des Geschlechts eine Katze. Ein widerspenstig dreinblickendes Tier, eine Raubkatze – in der Gesamtheit der allegorischen Elemente des Bildes, wie etwa der Raben oder der Waffen, welche die Dargestellte an der Halskette trägt, lässt sich wohl auch diese Katze nicht als positiv zu deutende Symbolisierung des weiblichen Geschlechts lesen. Aber – sie gefällt mir dennoch. Vielleicht sollte man sie weiterdenken, umdeuten.

Pussy.

Die verniedlichende Bezeichnung für Katzen im Englischen, pussycat, pussy – wird gleichzeitig als eher vulgärer Ausdruck für das weibliche Geschlecht verwendet. Und davon wieder abgleitet: als beleidigende Bezeichnung für jemanden, der schwach, nachgiebig, feige ist. Doch vielleicht ist es an der Zeit, hier auch einmal weiterzudenken, umzudeuten. Zur Begrifflichkeit der Pussy findet sich, zusammengedacht mit der Formulierung ‘grow some balls’, ‘Eier in der Hose haben’ in den Sozialen Netzwerken transportiert ein neuer Gedanke, eine neue Zuschreibung: Es sei, so lesen sich die Tweets, verwunderlich, dass mit der Aufforderung, ‘grow some balls’ ausgedrückt werden solle, dass man doch mal härter im Nehmen sein solle, mehr aushalten können solle – wo doch die balls, die Eier, die Hoden nicht dafür bekannt sind, viel aushalten zu können- im Gegenteil, sie sind wohl eines der empfindlichsten Körperteile überhaupt und sollten nicht als Symbol für Stärke dienen. Eine Pussy, Vagina, im Gegenzug, halte sehr viel mehr aus, sei äußerst flexibel (was sich etwa bei einer Geburt als sehr nützlich erweist) und daher sollte der Gemeinplatz vielmehr lauten: ‘GROW A PUSSY!’

 

// Ein Beitrag zur Social-Media-Aktion #LetsTalkAboutSexes des Städel-Museums Frankfurt

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